I. P. V. Troxlers berufliches Wirken
«Die Philosophie war auch immer meine Geliebte; die Naturwissenschaft meine Frau, Medizin nur mein Kebsweib. Ärgern sie sich nicht über diese Polygamie. Sie wissen, dass im Leben Frau Minna mir über alles geht.»
Troxler mit 42 Jahren in einem Brief an Ernst Münch [1]
Vereinfachend lässt sich Troxlers Berufsleben als Vierheit beschreiben: Medizin, Pädagogik, Philosophie und Politik. Auf all diesen Feldern leistete er für seine Zeit Hervorragendes und Pionierhaftes, und vieles von dem, was von ihm festgehalten wurde, in ausführlichen Aufsätzen und Büchern oder in kurz gefassten, prägnanten Aphorismen tönt für heutige Ohren bemerkenswert modern. Sein Lebenskonzept war weder abstrakt noch opportunistisch, er gab sich stets mit Eifer und Verve dem ihm gegenwärtig notwendig Erscheinenden hin. Sein berufliches Wirken erfolgte deshalb stets gleichzeitig auf ‚mehreren Gleisen’. Verlockende Angebote von ausländischen Hochschulen schlug er mehrmals aus, unter anderem deshalb, weil er fürchtete, dadurch seine eigentliche Bestimmung zu verfehlen. Sein beruflicher Wirkens- und Bezugsort blieb im Wesentlichen die Schweiz, sein Denken und Fühlen hingegen war universell und galt der Menschheit und der Welt als Ganzes.
Ausgangspunkt der vielfältigen Tätigkeit Troxlers war sein bereits als Kind aussergewöhnlich breites Interesse für alle relevanten Lebensbereiche. Beim Eintritt ins Erwachsenenleben hatte er sich schon vieles an bewusst verarbeiteter Lebenserfahrung angeeignet. Seine Studien in Medizin und Philosophie betrieb er äusserst strebsam und diszipliniert. Dank ausserordentlicher Belesenheit verfügte er bald über glänzende historische Kenntnisse in Philosophie, Medizin und Politik. Auch das Tagesgeschehen des In- und Auslandes trug er wach in seinem Bewusstsein. Seine sprachliche Begabung und Übung gestatteten ihm Zugang und Verständnis zu verschiedensten historischen und zeitgenössischen Quellen und Dokumenten innerhalb der abendländischen Kultur. Er wusste die Tatsachen aus der Warte höherer, geistiger Gesichtspunkte zu ordnen und zu beurteilen und war motiviert, diese seinem Handeln nach eigenen, freien, moralischen Gesichtspunkten dienstbar zu machen. So blieb sein Wissen nicht fachbezogen spezialisiert und isoliert, sondern mündete in umfassende Weisheit und in Handlungsbereitschaft. Sein Menschenbild stützte sich gleichermaßen auf die Empirie im Sinnlichen wie auf die Erfahrung eines höheren, rein geistigen Denkens. Seiner Zeit und den meisten seiner gebildeten Zeitgenossen war er damit ein Stück weit voraus; sein Denken bemächtigte sich des Zukünftigen. Die Visionen, welche er auf gesellschaftspolitische und geistig-kulturelle Entwicklungen bezogen sich erbilden konnte, bewahrheiteten sich zum größten Teil noch zu seinen Lebzeiten.
Schon beim Eintritt ins Erwachsenenalter hatte Troxler in allen Bereichen, in denen er später tätig sein sollte, Wesentliches erlebt und Erfahrungen gesammelt:
Heilkunst: Frühe Begegnungen mit Krankheit und Tod, aber auch mit vielfältigsten Lebensphänomenen weckten sein Interesse für die Phänomene des Lebens und drängten ihn zum Berufe des Heilers, des Arztes. Mehr
Philosophie: Sein Denken, das nicht eher ruhte, bis es den Dingen auf den Grund ging, trieb Troxler bereits in Kindheit und Jugend um: Die großen Rätsel des Lebens schienen ihm schon mit sechs Jahren, ausgelöst durch den Tod seines Vaters, auf; sie sollten ihn immer weiter beschäftigen, und bereits in seinen Zwanzigerjahren zu Früchten in Form bemerkenswerter medizinischer und naturphilosophischer Abhandlungen heranreifen. Mehr
Erziehung: Den Sinn für das, was wesentlich ist für die Bildung und Erziehung zum freien Menschsein, hat Troxler durch reflektierte eigene Erfahrungen in der Begegnung mit ganz unterschiedlichen, gegensätzlichen Erzieher- und Lehrervorbildern sich erbildet. Erziehung und Bildung wurden ihm zur Schicksalsfrage des Menschheitsfortschritts. Mehr
Politik: Die sich überstürzenden Ereignisse der Französischen Revolution und deren Folgen für seine Heimat weckten schon früh Troxlers politisches Bewusstsein und Streben; Vaterlandsliebe und Achtung der Unversehrbarkeit freien, bewussten Menschseins in Würde und Verantwortung wurden ihm zu Leitlinien seiner politischen Handlungsorientierung. Mehr
[1] Troxler an Ernst Münch, 24. November 1822, zit. nach Belke