Pädagogik

«Die große Kunst des Unterrichtens ist, dass so gelebt wird, dass der Zögling das, was er lernt, aus sich selbst produziere.»

Troxler als Lehrer und Pädagoge

In der Mitte seines beruflichen Lebens, in seinen Aarauer Jahren, äusserte Troxler: «Erziehung der Jugend ist meine wahre Bestimmung.» Während seiner Lehrtätigkeit in Luzern schrieb er einem Freund: «Mir geht’s äusserlich und im Kopf nicht übel, nur bin ich mit meinen sieben Fächern unmenschlich geplagt. Lust erleichtert die Last.» [1]

Die politischen Spannungen, in die sich Troxler in Luzern nach kurzer Zeit verstrickt hatte und die durchaus auch mit Stil und Inhalt seiner Lehrtätigkeit und mit dem für viele Vertreter des herkömmlichen Schulsystems verdächtigen, ja bedrohlichen Erfolg bei seinen Schülern in Verbindung standen, führten nach zwei Jahren zum abrupten Ende von Troxlers erster Lehrtätigkeit. Damit erfüllten sich auch die dunklen Ahnungen, welche der Visionär schon vor Antritt der Lehrstelle dem ihn ins Lehramt berufenden Magistraten Eduard von Pfyffer mitgeteilt hatte.

Es entspricht dem Charakter Troxlers und seiner Auffassung von seiner Aufgabe als Lehrender, dass es für ihn keinen wertneutralen, vom praktischen Leben abgetrennten Unterricht geben konnte. Philosophie als Weisheitsliebe keimt und gedeiht nicht im luftleeren Raum, sie hat mit dem Leben in all dessen Äusserungen und Bezügen zu tun. So war es ihm selbstverständlich, dass im Unterricht auch politische Botschaften vermittelt und politische Wirkungen erzielt werden sollten. Es ging ihm dabei jedoch weder um Parteinahme noch darum, eine ihm ergebene, von seiner Lehre abhängige Anhängerschaft um sich zu scharen, sondern im eminentesten Sinne um die Entfaltung freiheitlichen Menschentums bei den ihm anvertrauten Schülern.

Zu Troxlers Aarauer Lehrtätigkeit schreibt Max Widmer: «Wie in Luzern übte Troxler auch in Aarau auf die junge Generation einen Zauber aus. Er wird als liebevoller, guter, freundlicher Lehrer geschildert, den alle seine Schüler liebten. Sein Vortrag sei schön, aber am Anfang für die 70 Hörer so hoch gewesen, dass sie nachher ‘kein Wort mehr wussten’. Troxler beschwichtigte sie: ‘Es macht nichts, wenn ihr nicht alles sogleich versteht, es wird nach und nach schon kommen’, denn er wusste gut, dass es nicht auf das Wissen ankam, sondern auf die Denktätigkeit und das Vertrauen in die Kraft und Sicherheit derselben in jeder Menschenseele.» [2]

In seinen Vierzigerjahren, der Zeit seiner fruchtbaren pädagogischen Lehrtätigkeit beim Lehrverein Aarau, publizierte Troxler sechs bedeutende Abhandlungen zur Pädagogik, die noch heute Beachtung verdienen. Darin heisst es etwa: «Frei ist aber die Erziehung, welche in allem rein menschliche Bildung anstrebt und in diesem Streben durch Aussenverhältnisse kein Hindernis erleidet noch erduldet». Nicht nur für eine Freiheit der Lehre von Staat und Kirche machte sich Troxler stark, auf bildungspolitischem Felde kämpfte er immer wieder, bis ins hohe Alter hinein, wenngleich erfolglos dafür, dass Geschichte, Philosophie und Erkenntnistheorie zum allgemeinen akademischen Grundstudium erklärt und dass dieses jedem wissenschaftlichen Spezialstudium in Naturwissenschaft, Medizin, Jurisprudenz oder Theologie vorausgehen müsse.

Wie ist Troxlers pädagogische Laufbahn und sein diesbezügliches Wirken zu beschreiben und zu deuten? Bemerkenswert scheint, dass Troxler um die Lebensmitte den Berufswechsel vom Arzt zum Pädagogen vollzog und in diesem neuen Beruf seine wahre Lebensbestimmung fand. Dass er ohne irgendeine methodisch-didaktische Vorbildung von einem Tag auf den andern zum begehrten und von seiner Schülerschaft hoch geachteten Lehrer wurde, hat nicht nur mit seinem Mut und seiner Begeisterungsfähigkeit zu tun; es spricht sich darin auch eine selten hohe, ‘natürliche’ Begabung und Befähigung im Umgang mit jungen Menschen aus, die sich nicht zwingend aus dem bisherigen Leben Troxlers ableiten und erklären lassen. Dazu kommt, dass Troxler nicht auf bereits existierende Lehrmittel zurückgreifen konnte oder wollte, sondern sich den Stoff selbst erarbeitete und in die für den Unterricht geeignete Form brachte. So wurde ihm die Herausforderung des Unterrichtens gleichzeitig zur Herausforderung, sich in neue Wissensgebiete einzuarbeiten bzw. sein diesbezügliches Vorwissen im Selbststudium zu vertiefen.

Das pädagogische Wirken Troxlers kam in den Aarauer Jahren, in welchen er sein siebtes Jahrsiebt durchschritt, zum eigentlichen Höhepunkt. Die späteren Lehrtätigkeiten an den Universitäten von Basel und Bern können nicht in derselben Weise unter pädagogischen Gesichtspunkten gesehen werden: Hier ging es um das Vermitteln philosophischer Erkenntnisse an junge Erwachsene. Aber auch in dieser Funktion blieb Troxler Volkserzieher. Immer blieb ihm das Heranbilden eines freiheitlichen, eigenständigen Denkens das Hauptanliegen. Sein gesamtes Schrifttum, vor allem das politische, weist durchgehend einen subtilen pädagogischen Duktus auf: Troxler listet nicht einfach Tatsachen auf und verbindet diese miteinander, sondern er erklärt sie mithilfe aus dem Leben gegriffener Bilder und erweist sich damit nicht nur als Meister des Wortes, sondern auch als genialer Didaktiker und Pädagoge.

Die Liebe zum Menschen und zu dessen individueller, freiheitlicher Entwicklung ist es, die Troxler davor bewahrt, in seiner Unterrichtstätigkeit, oder in seinen Vorträgen und Schriften, ins Demagogische zu verfallen. Sein erklärtes Ziel ist die Befreiung, die Selbständigkeit des menschlichen Individuums, nicht dessen Abhängigkeit. Diese Freiheit des Menschen kann immer nur aus geistig-moralischen Urgründen gespeist werden. Mit zunehmendem Alter geriet Troxler aufgrund des sich rasant ausbreitenden Materialismus in einer von stürmischen naturwissenschaftlichen Erfolgen und technischen Entwicklungen geprägten Zeit immer stärker ins Abseits und ins Dilemma. Dass mit dem Freiheitsideal immer auch dessen Schattenbild, der krasse Egoismus, in seiner individuellen Form des Nur-an-sich-Denkens wie auch in der kollektiven Form des Parteienwesens, verbunden ist und dass diese dunkle Seite des Freiheitsstrebens sich in einer geistlosen Sphäre zunehmend Geltung verschafft, musste Troxler in seinen späteren Jahren als politisch verantwortlich handelnder Lehrer immer schmerzlicher erkennen und erleiden. So wurde aus dem Befeuerer zu Freiheitsliebe und Freiheitsgebrauch mehr und mehr der Mahner vor geistverlassenem Freiheitsmissverständnis und ungezügeltem Freiheitsmissbrauch.

  • Gedenkmünze für I.P.V. Troxler aus dem Jahr 1825, von seinen Schülern und Freunden versehen, versehen mit dem Spruch:
    Gedenkmünze für I.P.V. Troxler aus dem Jahr 1825, von seinen Schülern und Freunden versehen, versehen mit dem Spruch: «Die göttlich reinste Harmonie Sie fehlt im Schweizerlande nie, Für Ignaz Troxler nur allein Soll jedes Herz gestimmet sein.»

Fragmente und Aphorismen Troxlers zu Erziehung und Bildung

aus Aeppli Willi, I.P.V. Troxler. Aufsätze über den Philosophen und Pädagogen. Sonderdruck aus: Die Menschenschule, internationale Monatsschrift für Erziehungskunst und Lehrerbildung im Sinne Rudolf Steiners, Basel 1929.

«Das höchste Opfer bringt der Mensch, der sich selbst einem andern zum Erziehen übergibt, nämlich sich selbst mit all seinen Gaben, und mit seiner ganzen Zukunft, er darf daher fordern, dass er sich selbst wieder gegeben werde, durch den Erzieher; ja die Bedingung der scheinbaren Selbstentäußerung ist eben nur, dass er seiner selbst mächtiger und sich eigener werde, und desto sicherer und glücklicher seine ursprüngliche Naturbestimmung erreichen und seinen freien Zwecken leben könne. Die Erziehung soll also nicht geben und nicht nehmen, sondern nur den Menschen auf seine wahre Natur zurückführen, welche hinwieder nur durch seine frei gewordene Bildung offenbar wird. Zwischen Erzieher und Zögling besteht demnach der höchste heilige Vertrag, der unter Menschen abgeschlossen werden kann, und der auch nur den tiefen Absichten der Natur gemäß abgeschlossen werden kann. Erziehung ist die Offenbarung der göttlichen Liebe des Bildners seines Geschlechts. Wahrhaft erziehen kann nur Gott und die wahre Erziehung ist nichts als Erlösung und Befreiung. Wer daher den Menschen nicht sich selbst überlässt; wer seine Erziehung übernimmt, der tritt in ein ganz ander Verhältnis zu ihm, als das eines Herrn zum Knecht oder des Regenten zum Untertan. Es gilt hier auch mehr, als nur irdisches Leben und bürgerliches Dasein, mehr als nur Eigentum, äußere Freiheit und Ehre.»

«Allein nichts ist dem Erziehen und Bilden mehr entgegengesetzt, mehr es von Grund aus zerstörend, als bloßer Befehl und Zwang.»

«Wichtiger demnach, als dass der Zögling Vorkenntnisse und Anleitungen zu höheren Studien, oder Kenntnisse und Geschicklichkeiten sich erwerbe, ist es, dass er zu einer Selbständigkeit geführt werde, welche die Freiheit ertrage, und Gesetz und Antrieb des Handelns in sich selbst finde, wenn Zucht und Zwang von außen aufhören.»

«Der Geist aber, wie alles Lebendige, verweilt nur, wo Boden und Luft ihm ungestörte Selbstentwicklung gewähren.»

«Frei ist aber die Erziehung, welche in Allem rein menschliche Bildung anstrebt, und in diesem Streben durch Außenverhältnisse kein Hindernis erleidet, noch erduldet …»

«Allerdings bin ich noch der Meinung, und wage es noch, auch mitten in unserer Zeit, laut zu behaupten, dass dasjenige, was dir und andern dir Gleichgesinnten und Gleichgestimmten Kirche und Staat heißt, kein Recht über das Schulwesen und über Menschenerziehung hat; dass ich dafür halte, dass die Erziehung, so wie eine Mitte bildend zwischen den Wirkungskreisen der geistlichen und der weltlichen Macht, auch keineswegs in ihrem Geiste und Streben den äußern Formen und Zwecken der wirklichen einzelnen Kirchen und Staaten unterzuordnen sei, dass aber die Erziehung, obgleich immer im Kampfe mit diesen, so wie sie mit ihr, doch in innigster Eintracht mit der Idee und dem Wesen der Kirche und des Staates an sich stehe!»

Weitere Aphorismen Troxlers zu Erziehung, Bildung, Pädagogik

Troxlers wichtigste pädagogische und bildungspolitische Schriften in chronologischer Folge

Luzern’s Gymnasium und Lyzeum. Ein Beitrag zur Geschichte und Philosophie öffentlicher Erziehung und ihrer Anstalten, Glarus 1823 (228 Seiten).

Offene Antwort auf Professor Güglers öffentliches Schreiben. Beitrag zur Kenntnis der religiösen Mystifizierung des Zeitalters, Aarau 1823 (88 Seiten).

Über das Verhältnis von Realismus und Humanismus auf dem Boden der Schule. Fünfte Anzeige des Lehrvereins zu Aarau, Aarau 1823 (16 Seiten).

Über etwas, was Bonstetten und Niemeyer in Bezug auf Nationalbildung gesagt haben. Sechste Anzeige des Lehrvereins zu Aarau, Aarau 1824 (15 Seiten).

Über die Einheit von Entwicklung und Erziehung. Siebente Anzeige des Lehrvereins zu Aarau, Aarau 1824 (23 Seiten).

Etwas über die Ansprüche der Zeit und des Vaterlandes auf Erziehung. Achte Anzeige des Lehrvereins zu Aarau, Aarau 1825 (20 Seiten).

Soll in einem Collegium Humanitatis die Philosophie Sitz und Stimme haben oder nicht? Neunte Anzeige des Lehrvereins zu Aarau, Aarau 1825 (22 Seiten).

Leitung zur Wahl eines Berufes durch Erziehung. Zehnte Anzeige des Lehrvereins zu Aarau, Aarau 1826 (20 Seiten).

Die Gesamthochschule der Schweiz und die Universität Basel, Trogen 1830 (170 Seiten).

Über Philosophie, Prinzip, Natur und Studium derselben. Eine Rede gehalten beim Antritt der Lehrstelle der Philosophie an der Hochschule Basel, am 1. Brachmonat 1830, Basel 1830 (32 Seiten).

Über Wesen und Form volkstümlicher Mittelschulen, Zürich 1832 (18 Seiten).

Ehrerbietige Zuschrift mehrerer Kantonsbürger des Kantons Aargau in betreff einer neuen Organisation des höhern Schulwesens, 1832 (12 Seiten).

Gesetzesvorschlag über die Einrichtung des gesamten Schulwesen im Kanton Aargau, o.O. und o.J. (1834; 32 Seiten).

Über Idee und Wesen der Universität in der Republik, von Professor Dr. Troxler, in: Die Eröffnungsfeier der Hochschule Bern den 15. November 1834, Bern 1835. (26 Seiten).

Musterproben aus dem Schulunterricht der Jesuiten zu Luzern im achtzehnten Jahrhundert. Nachtrag zur Jesuitenfrage, Bern 1844 (11 Seiten).

Aufruf zur Bildung eines schweizerischen akademischen Vereins, 1846 (Flugblatt, 4 Seiten).

Auch ein Wort zur Hochschulreform in Bern, Solothurn 1846 (29 Seiten).

Zu Troxlers Erziehung, Bildung, Pädagogik

Aeppli Willi, I.P.V. Troxler. Aufsätze über den Philosophen und Pädagogen. Sonderdruck aus: Die Menschenschule, internationale Monatsschrift für Erziehungskunst und Lehrerbildung im Sinne Rudolf Steiners, Basel 1929.

Aeppli Willi, I. P. V. Troxler, Fragmente. Erstveröffentlichung aus seinem Nachlasse, St. Gallen 1936.

Brotbeck Kurt, Zum Gedenken an I. P. V. Troxler ( 1780-1866), in: Gegenwart, Zweimonatsschrift für freies Geistesleben (42. Jg.), Bern 1980.

Dollfus Andreas, I.P.V. Troxlers Ideen und Impulse zum Bildungswesen. Manuskript Aufsatz 2015.

Drack Markus, Der Lehrverein Aarau 1819-1830 Argovia 79, Sauerländer Aarau 1967.

Koller Ernst, Depot von zur Edition bereitgestellten pädagogischen Schriften Troxlers, nebst Kommentaren, Stadtbibliothek Baden.

Müller-Büchi Emil Franz Josef, Die Professur für Geschichte an der höheren Lehranstalt in Luzern. Ein Beitrag zur Biografie Segessers und Troxlers, in: Geschichtsfreund 119, Stans 1966.

Strich Fritz, Schweizer Akademiereden, hg. im Auftrag der Erziehungsdirektion des Kantons Bern. Troxler: Über Idee und Wesen der Universität in der Republik, Bern 1945.

Wohlwend Alfred, Troxlers Gedanken über Erziehung und Unterricht. o.J. 1948.

[1] Troxler an Balthasar, 28. Januar 1820

[2] Widmer Max, Lauer Hans Erhard, Ignaz Paul Vital Troxler, Oberwil b. Zug 1980, Seite 127